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Two-Speed-Organisationen in der Automobilindustrie – realisierbar oder Wunschdenken?

Dass die Digitalisierung längst Einzug in die Denkweisen deutscher Unternehmen gehalten hat, ist keine Neuigkeit mehr. Gerade in der Automobilindustrie, die für Deutschland einer der stärksten Wirtschaftsmotoren ist, stehen große Umwälzungen bevor, die u. a. das Thema Mobilität in ein ganz neues Licht rückt. Spätestens seit Erscheinen John P. Kotters Buch „Accelerate“ ist auch klar, dass wir uns erst am Anfang von einer rasanten Entwicklung befinden, die in den kommenden Jahren vor allem auf Geschäftsmodellebene gravierende Veränderungen mit sich bringen wird. In diesem Buch beschreibt Kotter die Idee eines „dualen Betriebssystems“. Zu verstehen ist dies als eine Two-SpeedOrganisation, die auf der einen Seite durch die bestehende, hierarchische Struktur und auf der anderen Seite durch ein agiles und innovationsförderndes Netzwerk agiert. Jede Organisation beginnt einmal als Netzwerk und entwickelt sich peu à peu zu einer Hierarchie. Das Problem hierbei ist, dass in einer hierarchisch strukturierten Organisation die Key Activities immer wieder demselben Personenkreis überlassen werden, die Kommunikation nicht schnell genug erfolgt, Informationen nur langsam und top-down weitergegeben werden oder die meisten Unternehmen auf Effizienz anstatt auf Agilität optimiert werden. Trotz allem ist die Hierarchie nicht wegzudenken und sollte lediglich um eine zweite, netzartig aufgebaute Struktur ergänzt werden, die den neuen Herausforderungen Stand halten kann. Dazu ist auch ein angepasster Führungsstil nötig, der Motivation und Anerkennung vorzieht und weniger delegierend ist. Also sind auch die Führungskräfte gefragt, das Netzwerk auf allen Ebenen zu einem legitimen Teil der Organisation zu etablieren.

Auch die Autoren des Buches „The other side of innovation - Solving the execution challenge“2 beschäftigen sich mit dem Thema, wie man als Unternehmen innovative Ideen richtig anwendet und umsetzt, um damit dem Wettbewerb immer einen Schritt voraus zu sein. Dabei stellen sie sich vor allem die Frage, wie größere Unternehmen im Gegensatz zu agilen Startups dazu in der Lage sein können. Im Zuge dessen identifizieren sie zwei Arten von Teams, die in den meisten Organisationen zu finden sind: die „Performance Engine“ (Leistungsmotor) und das „Dedicated Team“ (engagiertes Team). Während sich der Leistungsmotor mit dem Tagesgeschäft und Routineaufgaben befasst, darf das engagierte Team sich voll und ganz den Innovationen widmen. Dabei sind die beiden Teams ständig einem inhärenten Konflikt ausgesetzt. Dies ist einerseits der starren „Performance Engine“ und andererseits des sehr dynamischen „Dedicated Teams“ geschuldet. Um Ideen erfolgreich umzusetzen, muss die „Performance Engine“ dem engagierten Team also Flexibilität zugestehen, wohingegen dieses verstehen muss, dass die „Performance Engine“ die Leitung des Unternehmens vorgibt. Innovationen dürfen auch nicht in bestehende Prozesse hineingezwängt werden, sondern müssen durch die Erschaffung neuer Verantwortlichkeiten und Geschäftsprozesse und ohne die „Performance Engine“ zu behindern, entwickelt werden.

Wie lässt sich nun ein solches Konzept praktisch in großen hierarchiebasierten Unternehmen umsetzen? Die folgenden drei Beispiele aus der Automobilindustrie zeigen erste Versuche:

Volkswagen Data Lab

Das Data Lab ist die zentrale Anlaufstelle für Fachbereiche, Marken und Märkte des gesamten Volkswagen Konzerns. Hier werden zukunftsweisende Ideen und neue Technologien erprobt, um große Datenmengen analysieren und bearbeiten zu können. Dabei wird vor allem auf Design Thinking Wert gelegt, das den Kunden bedingungslos in den Mittelpunkt aller Überlegungen stellt. Das Data Lab ging im Frühjahr 2013 in den Pilotbetrieb und konnte nur eineinhalb Jahre später offiziell seinen ersten Standort in München eröffnen. Seine Struktur ist ähnlich der eines Startups – sowohl auf kultureller und gedanklicher Ebene, als auch in der Arbeitsweise. Es fungiert komplett losgelöst von der Konzern IT und ist nicht mit den Aufgaben des Tagesgeschäfts konfrontiert. Dennoch herrscht ein enger Wissens- und Informationsaustausch zwischen der klassischen IT und dem experimentellen Lab. Geleitet wird das Lab von Cornelia Schaurecker3 , die stets in engem Kontakt zu Volkswagen CIO Martin Hofmann4 steht. Im Data Lab ist im Gegensatz zur Konzern IT das Experimentieren ausdrücklich erlaubt. Beide Welten sind absolut gleichberechtigt und unterscheiden sich lediglich in ihrem Schwerpunkt. Die Hauptaufgabe des Data Lab besteht darin, alle konzernweiten Big Data Aktivitäten zu kleinen Projekten zu bündeln. Dann werden die Themen so schnell und unbürokratisch wie möglich in kleinen Teams besprochen und priorisiert. Dies geschieht in so genannten Think Tanks, die aus Mitarbeitern unterschiedlichster Fachrichtungen bestehen. In interdisziplinären Teams können so mühelos verschiedene Blickwinkel und Ansätze in die Lösungsfindung einfließen.

BMW Startup Garage

Auch BMW hat mit seiner Startup Garage5 einen Schritt in die Richtung „duales Betriebssystem“ gewagt. Sie ist eine Kombination aus strategischer und globaler Planungsstärke des Großkonzerns und besitzt gleichzeitig die Kultur der permanenten Innovation, Kreativität und Risikobereitschaft eines erfolgreichen Startups. In der Startup Garage soll das Potenzial besonders innovativer StartupUnternehmen mit Hilfe schlanker und effizienter Prozesse ohne Umwege genutzt werden. Die Verbindung von Konzern und Startup bildet die Grundlage für schnelle und agile Kooperationsprojekte. Zudem arbeitet BMW eng mit der TU München zusammen und gründete das Accelerator-Programm „TEchFounders“. Hier sollen innovative Technologien, Produkte und Funktionen sehr früh entdeckt und zusammen mit den Startup-Teams weiterentwickelt werden.

Daimler Business Innovation

In Peking eröffnete Daimler Greater China letztes Jahr ein neues IT Innovation Lab6 . Dieses soll als integraler Bestandteil des Information Technology Management neue Werte und Innovationen schaffen, von denen sowohl das Kerngeschäft als auch die Kunden profitieren. Auch hier wurde erkannt, dass der richtige Umgang mit Big Data ein wichtiger Erfolgsfaktor in zukünftigen Unternehmensnetzwerken sein kann. In funktionsübergreifenden Teams wird mit Hilfe einer schlanken, schnellen und flexiblen Startup-Kultur an innovativen Ideen und Lösungen gearbeitet. In zahlreichen Geschäftsbereichen von Daimler können so neue Software-Prototypen entwickelt, getestet und gegebenenfalls angepasst werden.

Diese drei Beispiele zeigen, dass sich die deutschen Automobilhersteller durchaus zum Handeln gezwungen sehen und prinzipiell einer veränderten Organisationsstruktur nicht abgeneigt sind. Das ist schon mal ein gutes Zeichen. Ob dabei jedoch die Ansätze eines dualen Betriebssystems hundertprozentig umgesetzt werden können, ist eher fraglich. Generell muss besonders darauf geachtet werden, wie die jeweiligen Führungsstile der parallel agierenden Systeme ausgeführt werden. Schnell wird mit dem Einsatz eines zwar agilen und flexiblen Innovationsteams vergessen, dass es sich nicht nur um ein oberflächliches Hinzufügen handeln darf. Der Erfolg einer dualen Organisation tritt nur dann ein, wenn das Unternehmensbild durch beide Systeme von Grund auf neu gestaltet wird. Dies muss durch die Erfüllung der jeweiligen Prinzipien in beiden „Unternehmenshälften“ erreicht werden. Diese Prinzipien finden sich in den Bereichen Werte, Führung, Koordination und Kommunikation eines Unternehmens wieder. Was bei den genannten Beispielen auffällt, ist, dass es sich um noch sehr vorsichtige Versuche handelt, die Geschäftsstrukturen zu ändern und sich die Aktivitäten lediglich auf Teilbereiche der Unternehmen beziehen. Vielleicht ist ein dual operierendes Betriebssystem für große Konzerne wie BMW oder Daimler auch keine dauerhafte Lösung, um in einer sich immer schneller drehenden Welt bestehen zu können. Es ist jedoch ein guter Ansatzpunkt für alle traditionellen Unternehmen, die gewillt sind, ihre alten und starren Organisationen an zeitgemäße Strukturen anzupassen. So wird ihnen trotzdem garantiert, dass der Wandel nicht das Unternehmen transformiert, sondern das Unternehmen und seine Mitarbeiter zu aktiven Teilhabern und Mitgestaltern der Transformation werden.

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