Ich hatte zuletzt MyTaxi in Zusammenhang mit disruptiven Innovationen erwähnt und auf einen weiteren Artikel verwiesen.
MyTaxi wird derzeit, ich glaube auch nicht zu Unrecht, immer wieder als ein griffiges Beispiel besonders hervorstechender digitaler Innovationen genannt. Während die regional ansässigen Taxi-Genossenschaften noch dem Schlaf der Etablierten fröhnen, macht sich MyTaxi auf, hier für einen gehörigen Innovationsschub zu sorgen.
Wer kennt es nicht: man steht an einem x-beliebigen Punkt in einer deutschen Stadt und benötigt ein gelbes Fortbewegungsmittel. Nur: weit und breit keins zu sehen. Bisher ging die Geschichte dann so weiter: Telefonnummer der lokalen Genossenschaft suchen, manchmal mehrmals suchen oder auch "nicht finden", anrufen, Bestätigung abwarten, warten und irgendwann einsteigen. Im Taxi zur Sicherheit nochmal fragen, ob auch Kartenzahlung möglich ist. Und los geht's. Mit MyTaxi sieht der Weg etwas anders und dabei für Konsumenten wesentlich komfortabler aus. App öffnen, Zielpunkt und ggf. Sonderwünsche wie Kartenzahlung oder Großraum-Taxi eintragen, Lokalisierung des eigenen Standortes durch das Gerät vornehmen lassen, Taxi in der Nähe wird gesucht und kommt - begleitet von einer grafischen Darstellung in Kartenform in der App - zum Wartepunkt gefahren. Bezahlung? Entweder via App oder über die klassichen Wege. Später bekommt man auch noch eine eine schöne Monatsübersicht.
Soweit so gut.
Interessant ist für mich jetzt allerdings die Frage um welche Form der Innovation es sich handelt. Oftmals wird hier von einer disruptiven Innovation gesprochen. Bezogen auf meinen letzten Artikel wäre aber zu fragen: stimmt das? Ist dieses sicherlich neuartige Konzept auch disruptiv?Wenn wir uns das Wertenetzwerk der Taxibranche zu Grunde legen, dann liegt das wesentliche Wertversprechen aus meiner Sicht 1) in der komfortablen und verlässlichen Vereinbarung einer Taxifahrt sowie 2) in der pünktlichen Abholung und dem sicheren Transport. Da Punkt 2) eher spezifische Herausforderung des befördernden Taxis sind und sich aus meiner Sicht dahingehend keine gravierenden Änderungen ergeben haben, will ich mich nachfolgend auf 1) konzentrieren.
Da Taxi-Konzessionen soweit mir bekannt nur auf lokaler Ebene vergeben werden und die Taxifuhrunternehmen auch nur dort mitnahmeberechtigt sind, entstand ein extrem fragmentierter, lokaler Markt. Ergebnis: jede Stadt hat "ihre" Taxigenossenschaft. MyTaxi hebelt dies nun insoweit aus, als dass es eine Aggregation vormals lokaler Märkte ermöglicht. Dies jedoch nur bezogen auf den Schritt der Vereinbarung, nicht der Beförderung.
Man argumentiert nun häufig, dass darin die disruptive Kraft steckt und sich daraus eine disruptive Geschäftsmodellinnovation ableiten lässt. Das Wertversprechen ist ein neues ("Wir finden das passende Taxi überall und komfortabel") und auch die Wertschöpfungskette verändert sich ("Wir agieren unabhängig von Genossenschaften direkt mit den Taxiunternehmen"). Die digitale Gesellschaft hat ihre nächste Disruption.
Doch hat sich der Leistungsindex geändert?
Voraussetzung für eine disruptive Innovation nach Christensen ist aus meiner Sicht, dass sich in einem angrenzenden Wertenetzwerk, dessen eingesetzte Technologien zunächst wesentlich weniger leistungsfähig sind, ein anderer Leistungsindex ergibt. Sukzessive entwickelt sich die Technologie weiter, an einem bestimmten Punkt ist sie so reif, dass sie auch in angrenzenden Wertenetzen mit anderem Leistumgsindex konkurrenzfähig ist. Im vorliegenden Falle kann ich dies nicht erkennen. Nach wie vor geht es um komfortable und verlässliche Terminvereinbarung. Das war 1980 der Fall und ist es heute. Was MyTaxi aus meiner Sicht macht, ist den branchenbekannten Leistungsindex zu pushen. Damit bewegen wir uns aus meiner Sicht im Bereich der "sustaining innovations" und nicht im Umfeld disruptiver Innovationen. MyTaxi vereinfacht dass, was bisher auch schon das Kriterium war: unkomplizierte Bestellabwicklung. Damit haben wir eine inkrementelle, eher radikale, fortführende Innovation.
Mit dieser Definition gehen zwei Dinge einher:
- Man kann den etablierten Genossenschaften vorwerfen, dass sie sich scheinbar nicht genügend mit den möglichen Veränderungspotentialen auseinander gesetzt haben. Gutes Management hätte hier ein Risiko (oder eine Chance?) erkennen müssen. Denn hier liegt die Krux. Während auch hervorragend geführte Unternehmen oftmals gegen disruptive Kräfte auf Grund der "Innovators Dilemma" chancenlos waren, ist ein Scheitern im Bereich der "sustaining innovation" besser vermeidbar. Konnte man diese Form der Innovation wirklich nicht kommen sehen? Oder war man nur zu sehr mit sich selbst beschäftigt?
- Es ist zu fragen, inwieweit Genossenschaften das "Problem MyTaxi" nun aussitzen können oder es als zusätzlichen Service integrieren werden. Bedeutet MyTaxi wirklich den schleichenden Tod der Genossenschaft oder regt es nur zu neuer Aktivität an? Wir werden sehen...
Same Day Delivery: MyTaxi doch als Disruptor?
Wo ich eine mögliche disruptive Kraft in MyTaxi sehe, ist im Bereich der Logistik. Wie kürzlich berichtet wurde, arbeiten MediaMarkt/Saturn nun mit MyTaxi bzgl. neuer Logistikkonzepte zusammen. Eine Bestellung, die durch MyTaxi vermittelt und in einem Taxi ausgeliefert wird? Hier erscheint mir der Begriff der disruptiven Innovation eher passend. Der Leistungsindex ist eher die kleinteilige individuelle Lieferung. Die neue Technologie ist zunächst im Verhältnis zu großen Logistikern weniger leistungsfähig und für den Massenmarkt nur bedingt zu gebrauchen. Es gibt allerdings ein neues, eigenes Wertenetz das passt.
Warum ist mir das so wichtig?
Jetzt könnte man sich fragen, warum es mir so wichtig ist, zwischen den verschiedenen Innovationsarten zu unterscheiden. Primär geht es mir nicht um eine richtige Nutzung der Begriffe. Es ist vielmehr wichtig zu verstehen, dass die Art der Innovation auch bestimmt, wie wir als Unternehmen diese initiieren und zum Erfolg führen. Innovationen die sich entlang eines bestehenden Leistungsindexes fortführen lassen unterliegen anderen Managementbedingungen, als disruptive Innovationen. Dazu aber wiederum mehr in einem späteren Beitrag...