Ein Festakt ist immer eine feine Sache. Etliche Grußworte werden vorgetragen, eine Laudation gehalten und schließlich Urkunden und Prämien verteilt. So geschehen am Mittwoch letzter Woche im Rahmen des „Tag der Industrie und Wissenschaft“ des Industrievereins Sachsen an der TU Chemnitz im Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU).
Als Verbandsmitglied waren wir sowohl bei der vorgeschalteten Firmenkontaktmesse WIK, als auch bei der bestens organisierten abendlichen Festveranstaltung aktiv. Neben den eigentlichen Ehrungen - es wurden sowohl neue Deutschland-Stipendien vergeben, als auch ein Innovationspreis überreicht - genehmigte man sich auch einen Ausblick in die Zukunft. Dr. Karlheinz Steinmüller, Wissenschaftlicher Direktor der Z_punkt GmbH nutzte mit seinem Vortrag "Get ready for a surprise: Künftige Technologien verändern die Gesellschaft" den gegebenen Rahmen, um die Anwesenden auf wesentliche technologische Trends und vielerlei sonstige Zukunftsszenarien einzustimmen. Er zeigte in seinem halbstündigen Parforce-Ritt die aus seiner Sicht relevantesten Entwicklungen ganz im Stile eines typischen Trendforschers. Stichworte waren: Industrie 4.0, Internet der Dinge, Augmented Realitity, Wearables, Smart Cities, Robotik und vieles mehr.
Auch wenn es der Vortrag auf die Entwicklungen der nächsten 10-20 Jahre abgesehen hatte: dass wir uns schon heute in einer Zeit erheblicher Veränderungen befinden, ist keine Fiktion technikverliebter Zukunftsforscher, sondern Realität. Dies zeigt sowohl der Vortrag Steinmüllers, aber auch viele andere Quellen. Einerseits sei hier auf die Titelliste aktueller Managementliteratur verwiesen, wie bspw. Rita McGraths „The End of Competitive Advantage“, Erik Brynjolfssons "The Second Machine Age: Work, Progress, and Prosperity in a Time of Brilliant Technologies" oder auch James McQuivey´s „Digital Disruption: Unleashing the Next Wave of Innovation“. Andererseits kommt keine Konferenz und kein wirtschaftsnaher Zeitungsartikel ohne den Begriff „Digitalisierung“ aus. Digital-orientierte Medien greifen schon seit einigen Jahren die revolutionäre Kraft des Digitalen auf. Anders sind Bezeichnungen wie „LEAD digital“ oder „Digital Pioneers“ nicht zu verstehen.
Für mich war deshalb der Vortrag Steinmüllers ein guter Startpunkt für weitere Schritte. Zum einen, weil es aus meiner Sicht unabdingbar ist, dass wir digital geprägten Unternehmer solche für uns offensichtlichen Zukunftsszenarien explizit in anderen Branchen aufzeigen. Weiterhin, weil es eben genau an der Schnittstelle zwischen Industrie und Kreativ-/Digitalwirtschaft in der Zukunft einiges zu gewinnen, aber eben auch zu verlieren gibt. Denn üblicherweise beschäftigen sich mittelständige (Industrie-)Unternehmen lediglich intensiv mit den eigenen Routineprozessen. Regelmäßig wird hier im Sinne kontinuierlicher Verbesserungsprozesse optimiert. Software ist seit jeher bestens geeignet diese Ziele zu unterstützen. Auch werden industrielle Produkte seit längerem sukzessive um digitale Komponenten angereichert. Inkrementelle Innovationen sind nicht selten das Ergebnis. Die Digitalisierung und die dadurch in den nächsten Jahren bevorstehenden Entwicklungen - Stichwort: Digitale Transformation und Industrie 4.0 - benötigen jedoch wesentlich mehr. Dort wo digitale Konzepte und Denkmuster alle Branchen durchdringen entstehen Veränderungen, die sich wesentlich tiefgreifender auswirken. Neben inkrementellen Optimierungen braucht es daher radikal neue oder auch disruptive Ansätze in Produkten, Dienstleistungen und besonders in Geschäftsmodellen. Gefragt sind Entwicklungsschritte, welche die Digitalisierung als das begreifen, was sie ist: eine mächtige Chance, insbesondere für eine industriell und ingenieurwissenschaftlich geprägte Region. Denn dort wo bestehende Wettbewerbsvorteile unter Druck geraten, entsteht auch Raum für neue Ideen, Konzepte und Lösungen. Dazu müssen jedoch nicht nur Routineprozesse überdacht sondern etablierte Denkmuster grundlegend überarbeitet oder gänzlich aufgegeben, neue Wege etabliert werden. Kooperation und Offenheit spielen eine Rolle. Unternehmerische Risikobereitschaft, Fehlertoleranz und Mut zum Scheitern ebenfalls.
Aus meiner Sicht werden sich diese digitalen Transformationsprozesse in Bezug auf den Industriesektor besonders in folgenden drei Feldern abspielen:
- Hybride und digitale Geschäftsmodelle: Die klassische Trennung zwischen Produkt und Dienstleistung wird zunehmend verschwimmen. Für produzierende Unternehmen steht die Dienstleistungsorientierung im Sinne der Schaffung eines individuellen und integrierten Wertversprechens immer stärker im Fokus. Differenzierung und Wertschöpfung findet im Zeitalter der Digitalisierung hier statt. Die Verbindung von Produkten und Dienstleistungen in neuen und digital beförderten Geschäftsmodellen wird zu einer Kernherausforderung der Zukunft. Hybride Produkt-Dienstleistungskombination sind wesentliche Entwicklungs- und Wachstumsfelder.
- Cross-Industry-Innovations: Der Transfer von branchenfremdem Know-how über Partnerschaften und Kooperationen mit Unternehmen anderer Wirtschaftszweige sorgt für neue Impulse im Innovationsprozess. Insbesondere an der Schnittstelle zwischen Lösungsanbietern der IT-/Digitalwirtschaft und klassischen Branchen sind Potentiale für Innovationen zu erwarten. Komplexer werdende Lösungen mit digitalem Fokus benötigen nicht nur das jeweilige Domainwissen der Industrie, sondern aktuellste technologische Konzepte. Niemand weiß besser, wie mit mobilen Endgeräten, Cloud-Plattformen, API´s und Schnittstellen sowie leichtgewichtigen Software Development Kits (SDK´s) umzugehen ist, als die „digital natives“.
- Verstärkte Nutzer-(Kunden-)orientierung: Erfolgreiche Geschäftsmodelle werden zukünftig noch stärker den Nutzer- bzw. Konsumentenfokus in den Mittelpunkt rücken. Dort wo reine Produktfunktionen und technische Leistungsmerkmale zur Differenzierung nicht mehr ausreichen, sind Wertversprechen gefragt die sich intensiv an den konkreten Bedürfnissen der jeweiligen Nutzer ausrichten. Diese Entwicklung wird verstärkt durch den Bedarf an digitalen Plattformen und Tools, welche zunehmend primäre Kontaktpunkte für Konsumenten werden. Passende Konzepte wie beispielsweise das Prinzip des User Centred Design können aus der Softwarewelt transferiert werden.
Wir benötigen für all das aus meiner Sicht einen noch stärkeren Austausch zwischen den „digital natives“ sowie der Ingenieurs- und Industriewelt. Es müssen die Chancen gegenüber den möglichen Risiken betont werden. Neben dem durchaus ebenso wichtigen Fragen gesellschaftlicher und ethischer Grenzen, müssen die Dinge getan werden. Es geht um intelligente Lerneffekte, um das Ausloten von Grenzen.
Um diesen Prozess zu starten sind Netzwerke wie der Industrieverein Sachsen bestens geeignet. Profitieren können davon alle Seiten.
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