Beginnen wir mit einem Vergleich. Das Zweitlingswerk erfolgreicher Musiker ist so eine Sache: sich wiederholen führt zu schlechten Kritiken beim Fachpublikum. Zu viel Mut für Neues vergrault die Mehrzahl der Fans, die einen stilistischen Anker benötigen, um dabei bleiben zu können. So oder so ähnlich stellte sich wohl auch die Herausforderung dar, der sich Alexander Osterwalder, Yves Pigneur und Co. nach dem überbordenden Erfolg von "Business Model Generation" und dem "Business Model Canvas" ausgesetz sahen. "What's next" nach jahrelangem Touren im globalen Speaker-Zirkus und vollen Business-Model-Masterclasses? Wohin geht die Reise als Management-Popstar? "Value Proposition Design" ist - um im Bild zu bleiben - der Versuch kontinuierlicher Fortentwicklung bekannter Stilmittel, jedoch ohne diesen stilistischen Pfad allzuweit zu verlassen oder gar zu revolutionär daher zu kommen. Gleichzeitig mussten die Autoren einen schon im Titel des Buchs implizit angelegten Anspruch erfüllen: die eigene Value Proposition klar heraus arbeiten und sich von der Masse an Management-Ratgebern abheben.
Nimmt man das Buch zum ersten Mal in die Hand kommt es wohl auch aus diesem Grund zunächst einmal optisch anders, d.h. primär wesentlich bunter, fast comichaft daher. Das ist aber nicht alles was sofort auffällt. Im Gegensatz zu "Business Model Generation" scheint der fachliche Input mehrerer hundert Praktiker dem neuerlichen Anspruch gewichen zu sein, dass Feld "Buch" neu zu denken. In diesem Vorhaben findet sich nicht nur eine außergewöhnliche Gestaltung, sondern auch das zentrale Beispiel an Hand dessen die Methoden und Werkzeuge des "Value Proposition Designs" meist beispielhaft erläutert werden: wie sieht die "Value Proposition" einer aktuellen Fachliteratur aus?
Scheinbar zunächst einmal so, dass das Zutrauen in den Leser hinsichtlich seiner Leselust relativ gering ist. Wer die typischen 200 bis 300 Seiten Text mit ergänzenden Abbildungen erwartet, wird enttäuscht. Vielmehr gliedert sich knapper Erklärtext um vielfältige grafische Darstellungen. Je nach eigenem Geschmack kann man diesen Stil mögen oder nicht. Lineares Lesen schien jedenfalls nicht das herausgestellte Bedürfnis der Masse zu sein. Vielmehr entsteht formal ein Werk, dass sich schnell erfassen lässt, an verschiedenen Einstiegspunkten zugänglich ist und in Summe eine gute Anleitung zum eigenen Handeln darstellt.
Apropos: wer das "Business Model Canvas" kennt und nutzt, wird leichtes Spiel beim Einstieg in das Buch haben. Inhaltlich wird zunächst ein Recap zum "Business Model Canvas" mit seinen neun Blöcken und der zentralen "Value Proposition" geboten. Von dortaus entwickeln die Autoren ihr "Value Proposition Canvas", das sie als Vertiefung bzw. vor- oder nachgelagerte Entwicklungsstufe zur Geschäftsmodellentwicklung sehen.
Das Canvas selbst besteht aus zwei Teilen:
1. einem in drei Bereiche untergliederten Kreis, der die "Customer Jobs" sowie "Pains" und "Gains" der Zielgruppe darstellt auf der rechten Seite sowie
2. einem Viereck auf der linken Seite, welches ebenso drei Teilbereiche enthält und die Antworten auf die Elemente auf Kundenseite liefert, indem es die Produkt- und Service-Eigenschaften, "Gain Creators" und "Pain Relivers" darstellt.
Wesentliches Ziel der Methode: einen "Fit" zwischen den Elementen ermitteln und so die Value Proposition aufbauen. Osterwalder et. al nutzen in diesem Zusammenhang das "Jobs-to-be-done"-Konzept, welches u.a. durch Clayton Christensen eingebracht wurde und fügen es in ihren Prozessrahmen ein. Diese Grundlogik kommt der klassischen Sicht des Marketings nahe: ermittle Zielgruppen und veranschauliche deren Bedürfnisse. Richte nun alle Aktivitäten auf die Befriedigung dieser Bedürfnisse aus. "Value Proposition Design" verstärkt damit die marktbasierte Sicht auf ein Geschäftsmodell, nur dass es diesen Ansatz nicht "top-down" geht, sondern iterativ entwickelt.
Herkömmlicher Weise würde man Zielgruppen erfassen, segmentieren und dann mit geeigneten Mitteln ansprechen. Doch das kann bei innovativen Lösungen und neuen Geschäftsmodellen zum Problem werden. Schließlich sind auch diese Segmentierungsarbeiten zunächst Hypothesen, welche einer praktischen Prüfung standhalten müssen. Daher bedient sich "Value Proposition Design" im weiteren Verlauf Werkzeugen, die aus der Entrepreneurship-Welt bekannt sind und bereits im Zusammenspiel mit dem "Business Model Canvas" einen in Startup-Kreisen oft genutzten Dreiklang bilden.
Dieses Zusammenspiel der Bausteine steht dann im Mittelpunkt des weiteren Verlaufs des Buches. Zusammenfassend lässt sich dieser prozessuale Gedankengang wie folgt darstellen: nutze das "Value Proposition Canvas" um Deine Kundenannahmen (Jobs, Pains, Gains) zu erfassen und Dein Wertversprechen zu gestalten. Baue daraus ein formal funktionierendes Geschäftsmodell und teste die darin getroffenen Annahmen mit dem "Build-Measure-Learn"-Prinzip des "Lean Startup" am Markt. Bestätige oder verwerfe dabei iterativ Deine Hypothesen, generiere Lerneffekte und entwickle darauf aufbauend das Gesamtkonzept fort. Wenn nötig, steuere möglichst frühzeitig um (Pivot). Baue somit sukzessive einen "Problem-Solution"-, sowie "Product-Market"-Fit nach dem Prinzip des "Customer Development" (Customer Discovery, Customer Validation, Company Creation, Company Building) und erzeuge schlussendlich ein tragfähiges Geschäftsmodell.
Dieser Gedankengang wird nicht nur ausführlich bebildert und mittels Workshopanleitungen praktisch ausführbar dargestellt sondern zusätzlich durch allerhand ergänzende Werkzeuge verfeinert. Zu nennen sind hier beispielsweise die "Testing Cards" oder das kürzlich im Strategyzer-Blog erläuterte "Progress Board". Werkzeuge die praktikabel, leicht verständlich und trotzdem fundiert sind. In dieser Überführung von Prozesslogik in leicht verständliche Tools scheinen die Autoren gefallen gefunden zu haben. Sicherlich nicht grundlos, ist doch jede Map, jedes Canvas konzeptionelle Vorstufe zur Überführung in Software. Und hier liegt ja der ausgewiesene Kern der Aktivitäten der Strategyzer AG ("the SAP of strategy").
Es ist zu kurz gegriffen, "Value Proposition Design" zu unterstellen, primär das Bedürfnis der Managementmasse nach einem neuen Tool zu befriedigen. Dafür sind die Konzepte zu fundiert, die Autoren zu gut. Andererseits bot sich die Erweiterung des "Business Model Canvas" regelrecht an. Nicht nur, weil die internationale Durchdringung so hoch ist und guten Nährboden für mindestens eine weitere erfolgreiche Veröffentlichungen bot, sondern vor allem deshalb, weil es fachlich durchaus Sinn ergibt. Osterwalder et. al bauen in "Value Proposition Design" die Welt nicht neu. Sie konfigurieren vielmehr vorhandene Methoden und Werkzeuge zu einem ganzheitlichen und dabei aber durchaus erweiterbaren Gesamtprozess. Dieser ist für eingefleischte Entrepreneure und Beobachter der Startup-Welt nicht neu, aber eben - zumindest meiner Kenntnis nach - erstmalig in dieser komprimierten Form erfasst.
Zusammen mit dem "Value Proposition Canvas" und vieler nützlicher Tipps und Tricks ist das Buch durchaus lesenswert, vor allem dann, wenn man schnell und direkt in die praktische Umsetzung einsteigen will. Möchte man jedoch tiefer in die Materie vordringen, sind die Ursprungsquellen gut sichtbar erfasst. Dann bildet "Value Proposition Design" einen motivierenden Startpunkt für die Auseinandersetzung mit weiterer Entrepreneurship- und Innovationsmanagement-Literatur.